Mein Blick galt schon sehr lange den Menschen, die ich für vermeintlich glücklich gehalten habe.
Zumindest erfüllte es mich schon immer mit einer unheimlich großen Sehnsucht, wenn ich Freunde erlebt habe, die sowohl Familie als auch einen intakten Freundes- und Bekanntenkreis hatten.
Menschen, die sich auf ihre Familie verlassen konnten in Not, die unterstützt wurden bei Problemen, die einen Anker hatten in schweren und auch guten Zeiten.
Die ihr Glück teilen konnten, ihre Erfolge, ihre Entwicklungen.
Wie schön muss das sein, wenn man sich verbunden fühlt mit der eigenen Familie?
Wenn man Freunde hat, die für einen da sind.
Die man regelmäßig trifft und mit denen man den Alltag teilen kann.
Ich weiß tatsächlich nicht, wie sich das anfühlen muss.
Allerdings wurde mir in letzter Zeit immer bewusster, dass dieses vermeintliche Glück für die betreffenden Personen vielleicht gar kein so großes sein muss.
Erstmal halten viele Menschen die Familie für etwas, was eben so da ist. Man kennt es ja nicht anders, man wurde dort hineingeboren.
Aber gerade weil man sich die Familie nicht ausgesucht hat und emotional sowie physisch von ihnen abhängig war, konnte man diesen Menschen als Kind natürlich auch nicht auf Augenhöhe begegnen.
Man musste sich in irgendeiner Form anpassen.
Und wir wissen alle, dass es in jeder Form von Gemeinschaft Konflikte gibt.
Ganz besonders in denen, die man sich nicht freiwillig aussuchen kann.
Familie ist zwar da, ja, aber die Frage ist doch, wie sehr fühlt man sich wirklich gesehen und angenommen von diesen Menschen, mit denen man sich die DNA teilt?
Welche Seiten von sich kann und darf man nicht zeigen, wo muss man lügen um die anderen nicht zu verletzen?
Welche Triggerpunkte versucht man zu umschiffen und wieviel Kraft kann das kosten?
Ich glaube mittlerweile dass es verdammt wenige Familien gibt die es schaffen, dass alle Beteiligten sich auf Augenhöhe begegnen können.
Und damit meine ich vor allem, dass die Kinder auf einer Ebene aus ihrer Rolle entwachsen dürfen und ehrlich mitteilen können, wie sich früher gefühlt haben, was sie heute brauchen und sich wünschen (ohne dass es erfüllt werden muss, jeder ist nun selbst für sich alleine verantwortlich).
Dass ein Raum entsteht für die Wahrheiten aller Familienmitglieder, egal wie bitter diese auch manchmal sein mögen.
Ein wirkliches Zuhören und Präsent sein füreinander.
In jeder Familie passieren automatisch emotionale Verletzungen.
Das ergibt sich aus der Abhängigkeit der Kinder von ihren Eltern.
Auch die Verantwortung die die Eltern tragen müssen, obwohl sie ihre eigenen Verletzungen noch nicht verarbeitet haben, beeinflusst ihren Blick und ihr Verhalten gegenüber ihren Kindern.
Nur weil man aus der eigenen Familie schlecht entkommen kann („Blut ist dicker als Wasser“) bedeutet das noch lange nicht, dass eine tiefe, aufrichtige Verbindung zu den Verwandten besteht.
Auch wenn es von Außen so aussehen mag.
Wie oft handelt es sich in Wahrheit um ungelöste Abhängigkeitsverhältnisse aufgrund Traumadynamiken, die sich bis in den Tod hinein wiederholen weil sie nicht hinterfragt werden dürfen?
Die bedingungslose Liebe der Erwachsenen um die viele Menschen nach wie vor kämpfen weil sie sie eben nicht bekommen haben, wie oft ist dass eigentlich der Leim, der die Verwandtschaft zusammenenhält?
Ich war immer neidisch weil ich davon ausging, dass die anderen diesen familären Zusammenhalt hatten, der mir noch heute so sehr fehlt.
Aber wie oft habe ich erfahren dass genau die Leute die ich beneidete nicht ehrlich sein konnten gegenüber ihren nächsten Angehörigen.
Dass sie sich nicht gesehen und in eine bestimmte Ecke gedrängt fühlten, wie sie laut ihren Verwandten sein sollten.
Wie viele Erwartungen werden aufeinander projiziert innerhalb von Familien?
Wie oft geht es darum dass die heimliche Erwartung aneinander ist, der andere mögen einen emotional retten? Dasselbe gilt natürlich für Partnerschaften.
Alleine in meiner Familie gibt es so unglaublich viele nicht geklärte Konflikte der Tanten und Onkel untereinander, die seit Jahrzehnten hinter dem Rücken des anderen immer wieder aufgewärmt werden, um bei der nächsten Familienfeier dem anderen ins Gesicht zu lächeln.
Man wird nicht akzeptiert wie man ist, es gibt überhaupt keinen Raum dafür, sich ehrlich zeigen zu dürfen. Über Gefühle spricht man natürlich schon mal gar nicht.
In den ersten Lebensjahren erlernen wir unsere Beziehungsmuster die sich dann in den Bindungen außerhalb unserer Familie zeigen.
Die einen sind überangepasst, andere rebellieren gerne oder geben den Ton an, müssen immer die Kontrolle über alles und jeden haben.
Wieder andere machen sich abhängig von ihren Partnern und Freunden, hauptsache nicht alleine sein. Oder hauptsache (in der Tiefe) immer autonom bleiben.
Das Gute ist, dass wir außerhalb unserer Familie auf jeden Fall immer die Möglichkeit haben, uns in unseren Beziehungen weiterzuentwickeln und es meistens auch unbewusst so oder so tun.
Da komme ich dann zum zweiten Punkt meines Neidfaktors:
Menschen, die ein soziales Netzwerk um sich haben, bestehend aus Freunden und Bekannten.
Wer kann von Außen eigentlich erkennen, wie tief diese Verbindungen wirklich gehen?
Ich glaube daran, dass wir anderen Menschen nur so tief begegnen können, wie wir uns selbst begegnen können.
Können wir uns selbst den Raum geben für unsere „unangenehmen“ Gefühle und Seiten oder müssen wir sie verdrängen und abspalten?
Ich kann Menschen nicht in der Tiefe begegnen, wenn ich die meiste Zeit vor mir selbst auf der Flucht bin.
Natürlich kann man jemand sein, der leicht Kontakte knüpft und sehr gesellig ist.
Aber woher weiß ich, ob diese Person sich wirklich verletzlich zeigen kann oder eben auch nur aus einer erlernten Fassade heraus agiert?
Besonders die Menschen die gut im Funktionieren sind, sind gesellschaftlich anerkannt.
Aber das sagt noch nichts darüber aus, ob die Menschen sich selbst überhaupt spüren können und auf welcher Ebene sie mit anderen in Kontakt stehen.
Es gibt sicher Menschen die nur wenige Bindungen wollen weil sie darin einen tiefen Austausch erleben der ausreicht. Es ist ja auch eine Frage der emotionalen und zeitlichen Kapazitäten.
Und es gibt auch Menschen die sehr gut mit sich selbst sein können und dadurch überall schnell Anschluss finden, weil sie ausstrahlen dass sie fein mit sich sind.
Ich glaube je mehr man eine Sicherheit in sich selbst findet und je besser man zu seinen Bedürfnissen und Grenzen stehen kann, desto leichter kann man auch Tiefe mit anderen erleben.
Weil man eine gewisse Unabhängigkeit davon hat, von jedem gemocht zu werden.
Doch ich vermute, dass den meisten Menschen eben genau das schwer fällt. Zu sich selbst zu stehen und zwar immer wieder neu, ohne an alten Überlebensmechanismen haften zu bleiben.
Laut und dominant sein, den Ton und die Richtung vorgeben, leise und überangepasst, den anderen retten wollen und immer für alle da sein, das wären solche Muster die mir einfallen.
Für mich ist es irgendwie ein Gewinn jetzt etwas anders über dieses Thema zu denken.
Ich merke dass es mir selbst sehr schwer fällt, Menschen in der Tiefe zu begegnen weil ich zu mir selbst auch nicht so stehen kann, wie ich es möchte.
Meine Bedürfnisse zu formulieren und Grenzen zu setzen, Mission: Impossible.
Und dementsprechend verschließen sich auch andere mir gegenüber.
Ich fühle, dass es mir wirklich Schwierigkeiten bereitet, langfristige Bindungen aufzubauen.
Viele Kontakte brechen ab, oft durch den anderen, was sehr schmerzhaft ist.
Aber auch ich kann mich nicht gut einlassen in der Tiefe und beende Beziehungen.
Das was ich immer über mich dachte, dass Menschen mir so viel von sich anvertrauen, war nur meine frühere Rolle, das war nie auf Augenhöhe. Ich habe meinem Gegenüber den ganzen Raum gegeben, damit ich selbst keinen einnehmen konnte. Ich habe mich gut und sicher damit gefühlt die Geheimnisse der anderen zu kennen. Aber wo war ich?
Seitdem ich dieses Muster nicht mehr bediene, fühlen sich diese Menschen auch nicht mehr von mir angezogen.
Meine Sicherheit, dass ich diejenige bin der man ganz viel anvertraut, ist weg.
Und jetzt kommt erstmal nicht mehr sehr viel von anderen habe ich den Eindruck.
Weil von mir eben auch nicht viel kommt, ich melde mich zwar, aber ich zeige Vieles nicht.
Weil ich nicht kann.
Unter all diesen Gedanken liegt meine tiefe Sehnsucht nach Gemeinschaft verschüttet.
Der Schmerz darüber, nie eine gehabt zu haben.
Und dann kam mir in den letzten Tagen aber auch immer mal wieder der Gedanke „Ich hab ja mich.“
Und zwar nicht auf eine beschwichtigende Art und Weise im Sinne von „Du brauchst keine anderen Menschen, sei dir selbst genug.“
Sondern wenn ich Dinge tun will, habe ich mich.
Ich wurde zu oft allein gelassen, genau deswegen kann ich mich nicht selbst immer wieder aufs Neue verlassen.
Ich bin überhaupt nicht unabhängig von diesem Gemeinschaftsding.
Ich will das auch haben.
Aber erstmal, da wo alles beginnt, bin ich selbst.
Es gibt keinen bestimmten Menschen den ich noch emotional brauche, außer mich selbst.
Und die anderen, die zu mir passen, die müssen dann kommen.
Ich muss mich nicht mehr passend machen.
(Sorry, falls Rechtschreibfehler enthalten wie immer :))